2
Sep
2010

Kristallin

Kristallisieren sich Erkenntnisse aus Kristallisationskeimen, der die lebendige, im Fluss befindliche Erfahrung zu denkbarer Essenz erstarren lässt? Womöglich, und umso wichtiger ist die zeitgerechte Verflüssigung der Erfahrung wieder zurück in den Fluss der Zeit, wo sie von Hilfe ist, und Trost.

So habe ich mir eine neue Erfahrung kristalliert, die mir hoffentlich wieder zu Flusse sein wird, so sie in diesen passt, ihre Essenz diesen bereichernd:

Ich habe erfahren, dass es die Bitterkeit ist, die manchmal dem Selbshass entspringt, oder ihn hervorbringt, der wir uns entziehens sollen - nicht den Schmerzen selbst, die das Leben bietet, die wir nicht vermeiden können.

Ich habe erfahren, dass es die Bewusstheit der eigenen Grösse und Unantastbarkeit ist, die uns nicht vor Schmerzen, wohl aber vor ihren Folgen beschützt. Die Ruhe im Angesicht des Misserfolgs, des Versagens - das Ich-bleiben im Auge des Wünschens dessen, was man nicht hat; des Nicht-Wünschens dessen, was man hat; des da seins, wo man nicht sein möchte; des dort nicht seins, wo man sein möchte.

Ich habe erfahren, dass die Verantwortung der eigenen Wahrnehmung immer bei mir selbst liegt: Der Art, wie ich Glück und Unglück erlebe; der Schlüsse, die ich aus ihnen ziehe; der Empfindungsgewohnheiten, die ich aus ihnen wachsen lassen.

Ich habe erfahren, dass unsere Gefühle Magnetfeldern gleich in anderen dieselben induzieren. Strahlen wir vor Freude, sind andere freudig. Fühlen wir uns nicht gewürdigt, fühlen andere sich bald von uns nicht gewürdigt. Fühlen wir uns vernachlässigt, empfinden andere im Bezug auf uns bald ebenso. Verfolgen wir wie wild wachsende Wünsche, verfolgen andere uns mit den ihren Ansprüchen. Lieben wir die Menschen um uns herum, fällt es ihnen leichter, ebenso zu lieben.

Die Bitterkeit, die wir dem Leben anmessen, kommt über die Anderen zu uns zurück, wie auch die Heiterkeit.

Ich habe erfahren, dass diese Binsenweisheiten, die ich manchmal schon nicht mehr hören kann, weil sie mir aus vielen Büchern staubig entgegenspringen, und mich mit ihrer klugscheissenden Altbackenheit nur mehr nerven, in eigener Anschauung frisch, und faszinierend wirken, und glänzen und leuchten wie eh und jeh.

Ich habe erfahren, dass nicht das Neue der Kristallisation wesentlicher Erkenntnisse Vorschub leistet, sondern das Eigene, und nicht das Aufsehenerregende, sondern das Wahre. Nicht das Neu-Erfinden, sondern das Wieder-Erkennen ist der Schlüssel zur Würdigung, und zum Edelstein der Seele, den wir uns erarbeiten wie Muscheln ihre Perlen - unter Schmerzen, und die Fremdheit dessen, was wir doch zur Perle werden lassen, oft verfluchend, bevor es eine Perle ist. Danach sind wir froh, und manchmal stolz, im Sinne getaner Arbeit, vollbrachter Leistung. Seht her, das ist die Perle meiner Seele, der leuchtende Kristall meines Lebens, ich habe es geschafft.

Doch Stolz hält den Kristall in seiner Form und hindert ihn daran, sich zu verflüssigen, wo er gebraucht wird. Stolz - schön zu empfinden, da er berechtigt die Vollendung eines schweren Erkenntnis-Prozesses anzeigt, als das Werkzeug und Mittel zur Würdigung berechtigt, das Produkt der Seele haltend, soll er doch nur in Dosen angewandt werden, und mit Umsicht - die nächste Flussbiegung kommt bestimmt, die nächste Situation, die der Essenz bedarf, und der Verabschiedung unserer Kristalle, der Verflüssigung des Wissens, Denkens, und Fühlens, denn Kristall alleine hilft dem Leben nie. Vollendet mag eine Erkenntnis sein - vollbracht ist sie erst dann, wenn sie unsichtbar, und ohne sie herauszustreichen wirkt. Wenn ohne sie zu spüren ihre Essenz das Leben leitet, ohne sie zu denken ihre Weisheit arbeitet, wenn sie ganz und gar verschwunden zu sein scheint, und mit ihr das, was uns bedroht. Dann ist sie Vollbracht, und bleibt es für immer. Dann ist sie die Wahrheit, die uns frei macht.

Darum will ich Kristalle des Lebens machen, und Perlen der Seele, und sie verschenken, und nie wieder sehen, auf dass sie mich nie mehr beschweren, sondern für immer begleiten und beschützen.
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